Theoretische Grundlagen
Rotorunwucht
Die Technologie von Windkraftanlagen hat sich in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt. Die Entwicklung ist ins besonders anhand der mittlerweile erreichten Dimensionen der Nabenhöhen und Rotoren Durchmessern zu erkennen. Diese erreichen derzeit bis zu 150m bzw. 140m. Damit einhergehend erhöhen sich die Rotationskräfte, die wiederum dynamische Lasten auf das Gesamtbauwerk übertragen. Sämtliche Bauteile müssen so dimensioniert sein, dass sie diesen Lasten für mindestens 20 Jahre standhalten. Dem gegenüber steht das Bestreben der Windkraftanlagenhersteller nach einer effizienten und ökonomischen Auslegung der Komponenten. Das hat zur Folge, dass Sicherheitsaufschläge knapp bemessen werden und keinen Spielraum für zusätzlich auftretende dynamische Lasten gewähren. Die gültigen Standards [IEC61400-1] und Richtlinien [GL, DIBt] zur Zertifizierung von Windkraftanlagen schreiben vor, dass für die Berechnung der auftretenden dynamischen Lasten an einer Windkraftanlage gewisse Grenzwerte für die Rotorunwucht zugrunde gelegt werden. Die Rotorunwucht kann aus einer Massenunwucht, d.h. durch eine ungleiche Verteilung der Masse innerhalb des Rotors entstehen, sowie aus einer aerodynamischen Unwucht, welche unter anderem durch Blattwinkeldifferenzen oder unterschiedliche Twistverläufe verursacht werden, entstehen. Die Anlagenhersteller legen in ihren Lastberechnungen Werte für die Massenunwucht [kg*m] und für die aerodynamische Unwucht [Blattwinkelabweichung in Grad] zugrunde und dimensionieren ihre Komponenten auf Basis dieser Annahmen. Daraus folgt, dass diese Annahmen während der 20 Jahre Betriebsdauer der Windkraftanlage nicht überschritten werden sollten, damit die Ermüdungsbeanspruchung nicht höher ausfällt als erwartet. Sollte das dennoch der Fall sein, wird während des Betriebs kontinuierlich mehr Lebensdauer verbraucht als vorgesehen. Die geplante Betriebsdauer von mindestens 20 Jahren kann somit unter Umständen nicht erreicht werden.
Wie bereits aus den oben erwähnten Grenzwerten für die Rotorunwucht ersichtlich ist, muss zwischen den zwei Unwuchtarten unterschieden werden. Beide Unwuchtarten überlagern und verstärken sich in Abhängigkeit der Rotordrehzahl. Bisher wurde jedoch der aerodynamische Beitrag zur Rotorunwucht oftmals vernachlässigt, was bei Unwuchtmessungen eine fehlerhafte Interpretation der Ergebnisse zur Folge hatte. Dabei sind die Ursachen für aerodynamische Unwucht vielfältig und ihr Auftreten häufig.
Schwingungen die aufgrund von Rotorunwucht entstehen und in die Windkraftanlage eingeleitet werden, können 3 verschiedene Arten von Belastungen erzeugen: axiale und laterale Schwingung sowie Torsion.
Aerodynamische Unwucht
Die Effekte aerodynamischer Unwucht werden oftmals unterschätzt und missverstanden. Aerodynamische Rotorunwucht wird durch Blattwinkelabweichungen oder Blattschäden verursacht. Dadurch werden die aerodynamischen Eigenschaften der Blätter verändert, was dazu führt, dass unterschiedlich große Kräfte an den drei Blättern wirken. Eine Vektor Addition macht das Prinzip der Entstehung von lateralen Schwingungen sichtbar. Da an jedem Blatt -abhängig von der Windgeschwindigkeit- 3 unterschiedliche Umfangskräfte angreifen, entsteht eine Gesamtkraft in lateraler Richtung. Diese ist in folgender Darstellung rot gekennzeichnet.
Die aerodynamische Unwucht ist proportional zur quadratischen Windgeschwindigkeit und ist demzufolge stark abhängig von den Betriebsbedingungen.
Durch die dynamischen Eigenschaften der aerodynamischen Rotorunwucht kann die resultierende Umfangskraft nicht durch die Einbringung von Ausgleichsgewichten eliminiert werden. Die aerodynamische Unwucht verstärkt sich mich zunehmender Rotationsgeschwindigkeit.
Die einzige Möglichkeit die aerodynamische Unwucht zu beseitigen, liegt in der Sicherstellung dass alle 3 Blätter dieselben aerodynamischen Eigenschaften aufweisen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Blattwinkel aller drei Blätter identisch sein und eventuelle Blattbeschädigungen repariert sein.
Massenunwucht
Rotorblätter sind aufgrund der Fertigungsweise Einzelstücke, bei denen keins dem anderen gleicht. Alle Blätter werden mit Hilfe von zwei Halbschalenformen in Handarbeit erstellt. Das beeinträchtigt die Fertigungsgenauigkeit im Hinblick auf die Präzision der Form, des Gewichts und dessen Verteilung.
Die Massenunwucht des Rotors ist abhängig von dem Gewicht und dessen Verteilung über der Länge der Rotorblätter. Das Prinzip wird in der Abbildung grafisch dargestellt und in der Formel 2 mathematisch.
Die resultierende Radialkraft Frad ist gleich dem Produkt der Massendifferenz, Δm, seinem Radius rΔm und der quadratischen Rotorgeschwindigkeit. Massenunwucht verursacht hauptsächlich Schwingungen in lateraler Richtung. Durch Einbringungen von Gegengewichten in die vorhergesehenen Wuchtkammern innerhalb der Blätter, kann die Massenunwucht beseitigt werden.
Um Massenunwucht bei Windkraftanlagen von Anfang an zu vermeiden, bestimmen die Blatthersteller nach der Fertigung der Rotorblätter ihren Massenmittelpunkt. Einen Satz Rotorblätter bilden dann drei Blätter bei denen es die geringsten Abweichungen im Rahmen der Toleranzen gibt. Das bedeutet, dass das statische Moment des Rotors zum Zeitpunkt der Errichtung eigentlich sehr gering sein sollte.
Die Realität sieht allerdings anders aus, was Untersuchungen des deutschen Spezialisten BerlinWind GmbH zeigen. An 30% der untersuchten Windkraftanlagen wurde eine Überschreitung der zulässigen Grenzwerte der Massenunwucht festgestellt.
Zulässige Grenzwerte der Rotorunwucht
Für die Dimensionierung der Komponenten von Windkraftanlagen werden unzählige Annahmen bezüglich des Auftretens von statischen und dynamischen Lasten getroffen.
Um die auftretenden Extremlast zu ermitteln, müssen die maximal auftretenden Umweltbedingungen wie Windgeschwindigkeit, Windscherung und Turbulenzen sowie der Anlagenzustand angenommen werden. Im Rahmen der Annahmen zum Anlagenzustand werden Grenzwerte für die maximale Blattwinkelabweichung und die Massenunwucht festgelegt. Auf Basis dieser Werte werden sämtliche Anlagenkomponenten auf eine Lebenszeit von mindestens 20 Jahren dimensioniert.
Für jeden neuen Anlagentypen wird ein Anlagenzertifikat ausgestellt, welches unter anderem die Lastannahmen enthält. Die Annahmen und Berechnungen beruhen dabei auf folgenden Normen und Richtlinien:
- DIN EN 61400-1:2005, Wind turbines – design requirements, 3rd edition, 2005
- Guideline for the Certification of Wind Turbines Germanischer Lloyd, Hamburg 2003/2010
- DIBt Richtlinie für Windenergieanlagen, Einwirkungen und Standsicherheitsnachweise für Turm und Gründung, Deutsches Institut für Bautechnik, Berlin, Versionen 2003/2012.
Auswirkungen von Rotorunwucht
Reduzierung der Lebensdauer
Jede Art von Vibration führt zu einem Verbrauch der Lebensdauer aller Komponenten einer Windkraftanlage. Das kann zu Schäden verursachen, die letztendlich den Austausch der betroffenen Komponenten notwendig machen. Eine Windkraftanlage ist jedoch so ausgelegt, dass sämtliche Komponenten den normalerweise auftretenden Lasten für eine Betriebsdauer von 20 Jahren standhalten können. Sind diese Lasten höher als vorhergesehen, zum Beispiel durch eine Rotorunwucht über den Auslegungsgrenzen, so schreitet der Lebensdauerverbrauch schneller voran. In diesem Fall erreicht die Windkraftanlage oder einzelne Komponenten dieser nicht die geplante Lebensdauer. Das führt zu aufwendigen Reparaturen, Tausch von Komponenten oder sogar der Stilllegung der gesamten Anlage.
Regelmäßige und effektive Wartung kann übermäßigen Lebensdauerverbrauch verhindern indem ungewollte Betriebszustände wie unzulässig hohe Rotorunwucht frühzeitig identifiziert werden. Dadurch, dass die Anlagengeneration der 2-3MW Klasse in der Regel noch keine 15 Betriebsjahre vorzuweisen hat, gibt es noch keine belastbaren Daten zur maximalen Lebenszeit der Windkraftanlagen dieser Klasse. Es ist jedoch bereits jetzt festzustellen, dass es bei vielen Anlagen bereits zu Ausfällen von Hauptkomponenten kommt, lange bevor die Lebensdauer von 20 Jahren erreicht ist. Rotorblätter, Hauptlager, Getriebe, Kupplungen, Generatoren und sogar die Fundamente zeigen teilweise deutliche Anzeichen von Verschleiß und Schäden. Nicht selten kommt es zu teurer Großkomponentenwechseln, wie der Austausch eines Getriebes.
Die Ursachen für übermäßigen Lebensdauerverbrauch sind vielfältig, allerdings ist es erwiesen, dass die Rotorunwucht einen erheblichen Anteil daran hat.
Ertragsverluste durch Stillstands Zeiten und erhöhte Reparaturkosten
Die größten Vorteile einer Rotorunwucht-Prüfungen ergeben sich aus der möglichen Vermeidung von Schäden und der daraus resultierenden Vermeidung von Reparaturkosten und Stillstandszeiten. Der Austausch von Großkomponenten erfordert neben einer Menge Zeit und Geld auch Spezialequipment wie vergleichsweise große Kräne, die nicht immer verfügbar sind. Die Kosten eines Großkomponententauschs variieren sehr und sind abhängig von Rahmenbedingungen wie Wartungs- und Betriebsführungskonzepten, Ersatzteillagerhaltung, Verfügbarkeit der benötigten Werkzeuge und andere Ausrüstung sowie der Reparaturteams sowie den aus der Stillstandszeit resultierenden Ertragsausfall.
Bereits ein vermiedener Großkomponentenschaden rechtfertigt die regelmäßige Überprüfung der Rotorunwucht eines ganzen Windparks.
Verringerter Wirkungsgrad
Rotorunwucht verursacht unter anderem auch eine Verringerung der Anlagenleistung. Eine prozentuale Abschätzung des Leistungs- und Ertragsverlustes ist schwierig zu beziffern. Es ist jedoch nachgewiesen, dass Blattwinkelunterschiede Leistungseinbußen im Teillastbereich verursachen. Abhängig von der Größenordnung der Abweichung kann der Energieertrag einer Windkraftanlage signifikant verringert sein. Eigene Erfahrungen zeigen, dass eine Abweichung der Blattwinkel von 1° einen Ertragsverlust von ca. 2-3% nach sich zieht.
Häufigkeit von Rotorunwucht
Bisher gab es am Markt noch keine Untersuchung von Rotorunwucht an einer signifikanten Anzahl von Windkraftanlagen. Es gibt jedoch einige kleinere Unternehmen, die sich bereits auf die Untersuchung der Rotorunwucht-Thematik spezialisiert haben. Einer dieser Spezialisten ist die BerlinWind GmbH. BerlinWind kann bereits auf einen breiten Erfahrungsschatz und einige Messeinsätze zum Thema Rotorunwucht aufweisen und die Ergebnisse seiner Untersuchungen in vielen Artikeln in Fachzeitschriften veröffentlicht.
So wurde von BerlinWind auf der EWEA 2013 in Wien eine Studie vorgestellt, bei der mehr als 1000 Windkraftanlagen auf Rotorunwucht überprüft wurden. Die Ergebnisse sind erstaunlich, zeigen Sie doch, dass rund 45% der Windkraftanlagen eine unzulässig hohe Rotorunwucht aufweisen. Diese Rotorunwucht ensteht zu etwa gleichen Teilen aus einer aerodynamischen Unwucht, Massenunwucht und einer Kombination aus beiden. Folgende Abbildung zeigt die Häufigkeit des Auftretens von Rotorunwucht im Detail.
Quellen
Deutsche Wind Guard Dynamics GmbH, 2008: Paper “Effect of Aerodynamic Rotor Imbalances on Energy Yield and Operating Life”
BerlinWind GmbH, EWEA 2013, Vienna, PO.ID 128, Handout “Payback Analysis Of Different Rotor Balancing Strategies”
BerlinWind GmbH, EWEA 2011, Paper “Improving Performance of Wind Turbines through Blade Angle Optimisation and Rotor Balancing”